Für die meisten Erwachsenen sind Spiele Regelwerke, die man lernen muss. Für Kinder sind Spiele etwas Natürliches – etwas, das ganz spontan auf dem Pausenhof entsteht. Es können komplett frei erfundene Rollenspiele sein oder Klassiker wie Fangen und Verstecken. Jedes Kinderspiel, sei es noch so bekannt, erfährt im Laufe seiner Spielzeit Veränderungen. Kinder passen Spiele ihren Bedürfnissen an. Diese Sonder- oder Hausregeln verändern die Dynamik und Hierarchie eines Spiels. Kinder diskutieren über Gerechtigkeit und Spielspaß. Sie erkennen Probleme und schlagen Lösungen vor.
Spiele zu erfinden gehört zum natürlichen Skillset eines jeden Kindes. Doch die Fähigkeit, Spiele zu erfinden, verliert an Bedeutung, wenn wir älter werden. Wir verlieren den Sinn und die Lust am Entwickeln von Spielen. Dabei ist Game Design eine fachübergreifende Fähigkeit, die logische, gestalerische und soziale Kompetenzen fördert.
Wie bringt man Kindern und Jugendlichen Spieleentwicklung bei?
Wie eröffnet man den Zugang zu diesem Wissensschatz? Während meiner Arbeit mit Erwachsenen habe ich festgestellt, dass konkrete Aufgabenstellungen am hilfreichsten waren. Eine Aufgabe wie „Entwerfen Sie ein Kartenspiel für die Reise mit der Bahn“ ist der perfekte Startpunkt. So eine Aufgabe schränkt die unendlichen Möglichkeiten ein und fokussiert die Kreativität der Teilnehmer:innen.
Kinder benötigen einerseits mehr Freiheiten und andererseits weniger offene Aufgaben. Das heißt, sie arbeiten am besten mit einer bekannten Formel und arbeiten von da aus weiter. Wenn man anfängt, zu zeichnen, kritzelt man einfach darauf los. Qualität ist nebensächlich. Wenn man aber sein Talent vertiefen möchte, sucht man sich im nächsten Schritt Vorbilder und imitiert diese. Man zeichnet Bilder ab, die einem gefallen. Ähnlich funktioniert dies auch beim Game Design, wo es sehr viel früher wesentlich ist, dass ein Mindestmaß an Qualität geboten wird, weil wir sonst den Zweck eines jeden Spiels verfehlen: es soll Spaß machen.
Um Kindern und Jugendlichen Game Design näherzubringen, dürfen wir nicht erwarten, dass sie komplett neue Spielideen entwickeln. Viel mehr geben wir den Kindern bekannte Spiele an die Hand, die sie weiterentwickeln sollen. Ich lasse die Kinder zunächst Spiele kopieren, die sie kennen. Entweder sie entwickeln bereits beim Kopieren neue eigene Ideen oder ich frage sie, was sie verändern könnten.
Beispiele aus Workshops an Schulen
Als wir an einer Schule in der 6. Klasse Kartenspiele entwickelten, hat sich eine Gruppe an Memory orientiert. Sie bastelten einen Prototypen mit Zahlen auf Karteikarten und verdeckten diese. Man musste nun die doppelten Zahlen finden. Ich ließ mir die Regeln genauer beschreiben. Als sie davon sprachen, dass jedes Pärchen einen Punkt wert sei, fragte ich, ob es auch Minuspunkte gäbe. So entstand schnell die Idee für Fallen, die, wenn sie aufgedeckt wurden, Minuspunkte bedeuteten.
Ein anderes Beispiel entstand in einer Gruppe, die das bekannte Kartenspiel UNO zum Vorbild hatte. Sie überlegten, was es bedeuten würde, wenn es nicht nur „+2“-Karten gäbe, sondern auch „–2“-Karten. Dieses Konzept lässt sich auf weitere Karten-, Brett- und sogar Computerspiele anwenden. Hauptsache ist, dass die Kinder und Jugendlichen ein Spiel mit seinen grundlegenden Regeln kennen, das sie mit ihren Mitteln kopieren können.
Für Erwachsene und speziell für professionelle Game Designer:innen fühlt sich dieser Weg oft falsch an, weil man zunächst keine Kreativität fordert, wenn man simple Spiele kopiert. Der Zugang zum Thema ist aber praktisch sofort da und die eigenen Ideen sind fruchtbarer und können sofort erprobt werden.
Testen, Gestalten und Vollenden
Das Testen der Spiele ist ein essentieller Part des Prozesses und darf nicht unterschätzt werden. Die Kinder wollen natürlich spielen, aber man muss sie auch zum Beobachten animieren. Sie sollen Stärken und Schwächen der Spiele erkennen und in neue Ideen einfließen lassen. Nach jeder Partie soll reflektiert und iteriert werden. Wenn die Kinder und Jugendlichen das Interesse verlieren, wechselt man einfach zum nächsten Spiel. Game Design soll Spaß machen und jede neue Iteration ist ein kleiner Erfolg, der sie einen Schritt näher bringt zum ersten eigenen Spiel.
Wenn die jungen Spieleentwickler:innen glücklich sind mit ihrem Spiel, kann man aus der Prototypenphase in die Gestaltungsphase übergehen. Hier lässt man sie die Spiele thematisch (Zoo, Berufe, Jahreszeiten) und visuell (Farben, Formen, Symbole) gestalten. Je nach Medium kann man dann als Betreuer:in die Ergebnisse verfeinern, ausdrucken oder für den Download bereitstellen. Der schönste Moment im Game Design ist, ein fertig gestaltetes Spiel in den eigenen Händen – oder noch besser – in den Händen seiner Freund:innen zu sehen.
Ich bin Eduard Anton. Ich arbeite als Designer und unterrichte seit über 10 Jahren als Theater- und Medienpädagoge an Schulen in ganz Deutschland.